Als die Bilder singen lernten. Materialien zum 11. Internationalen Filmhistorischen Kongreß, Hamburg, 5. - 8. November 1998.

Musik und Musik-Regie im Tonfilm

von Bac.

in: Film und Ton (Wochenbeiblatt der Licht-Bildbühne), Nr. 16, 18.4.1931


Musik ist immer Stimmung, sie malt, charakterisiert, sie braucht also Breite. Film ist stets Handlung, braucht also Tempo. Man muß beide Gegensätze angleichen, davon hängt die Existenz des Tonfilms ab. Fragt sich wie?

Jedenfalls ein Film mit Tempo verträgt nicht Musik, sie wirkt hier fremd, meist sogar deplaciert. Umgekehrt ist ein Film nach dem Operettenschema ebenso unsinnig. Die Operette hat ganz andere Gesetze. Um das an einem Beispiel zu zeigen: In der Operette kann jedes Chanson, jedes Duett, jeder Schlager, jedes Finale voll ausgesungen werden. Mehr noch, man kann alles da capo bringen. Zehn Strophen hintereinander zu hören, ist hier durchaus möglich, die Wirkung wird dadurch nicht gemindert, im Gegenteil, sie wird gesteigert. Die Musik wird den Leuten gewissermaßen eingehämmert.

Das gleiche beim Tonfilm ist unmöglich. Es ist schon eine große Frage, wieweit Ensembles im Tonfilm überhaupt möglich sind. Sicher aber ist, daß hier der Schlager meist nicht mehr wie eine Strophe verträgt, oft sogar nicht mehr als den Refrain, wenn er lang ist. Nun steht der Schlager beim Tonfilm genau wie in der Operette am Höhepunkt der Handlung, soll gewissermaßen die Quintessenz des Ganzen sein, ohne daß man das Mittel der Wiederholung, die Technik des Einhämmerns wie bei der Operette anwenden kann. Was folgt daraus?

Daraus folgt, daß die heut übliche Methode der Schlager- und Liedkomposition im Tonfilm verfehlt sein muß. Sie ist auf dem Operettenschema aufgebaut, d.h. zur Erzielung der Wirkung werden 10 bis 12 Minuten benötigt. Das geht nicht. Dem Tonfilm stehen 3 bis 5 Minuten zur Verfügung. Trotzdem muß die gleiche Wirkung erzielt werden. Was bedeutet das? Das bedeutet Konzentration. Sie ist nur möglich, wenn zuerst einmal alle jene Rhythmen der Operette ausgeschlossen werden, die eine mäßige Breite des Vortrages benötigen. All das wirkt im Film verwaschen.

Hier gibt es nur ein Mittel: Übersteigerte Rhythmen, d.h. entweder kurze überprägnante oder - bei Lyrismen - übergedehnte Rhythmen, die die Aufmerksamkeit erzwingen. (Analog zu der beim Film oft angewandten Methode der optischen Übersteigerung der Wirklichkeit.)

Ähnlich der Text. Texte, die komplizierte Überlegungen verlangen, scheiden aus. Die Schlagzeile muß sich von selbst einprägen und ohne besonderen Willensakt im Unterbewußtsein hängen bleiben. (Man kann von den Leuten nicht verlangen, zu gleicher Zeit Handlung, Optik, Ton, Literatur, noch dazu im Eilzugtempo, zu schlucken) Trotzdem, auch der Tonfilm kann auf die Technik des Einhämmerns nicht verzichten. Der Hauptschlager muß auch hier dem Hörer eingehämmert werden, sonst sitzt er nicht und der Zweck des Ganzen wäre illusorisch. Allerdings die primitive Art der Operettentechnik, dies auf einmal zu tun, scheidet aus. Vielleicht wird in Ausnahmefällen eine Wiederholung innerhalb der Handlung sich ermöglichen lassen. Im allgemeinen wird das aber nicht gehen. Dann muß das Einhämmern von der musikalischen Struktur aus erfolgen, d.h. das Hauptthema des Films muß von vornherein so vorbereitet sein, und zwar musikalisch vorbereitet, daß es längst im Ohr sitzt, bevor man es in seiner eigentlichen Fas-sung hört. Diese Technik, die thematisch arbeiten müßte, würde letzten Endes musikalische Resultate zeitigen, die man am besten als ein Art Symphonik bezeichnet. (Man denke an die klassischen Operettenkomponisten, bei denen man das Hauptthema der Musik schon hört, bevor überhaupt der Vorhang aufgeht)

Es ist klar, daß diese Art des Tonfilms außerordentlich große Anforderungen stellen wird. Ihre Bewältigung wird nur möglich sein, wenn zur dramatischen und optischen Regie die Musikregie tritt.

Die Aufgabe dieser neuen Regie ist, die Gesetze des dramatischen und musikalischen Aufbaus im Tonfilm, die sich durchaus nicht decken, in Einklang zu bringen. Genau wie man vor Jahren erst lernen mußte, die dramatische Regie des Films von der optischen Idee zu lösen, genau so ist es heute nötig, zu lernen, die dramatische Regie von der musikalischen Idee aus aufzubauen. Einst ist sicher, daß die musikalische Regie dazu berufen ist, den Tonfilm aus dem Stadium des primitiven Experiments herauszuführen und ihn zu einer Sache von künstlerischer Bedeutung zu machen. Und das wird sich rentieren, denn die Lebensdauer des Tonfilms ist bestimmt eine weitaus größere als die jeden anderen Films. Genau wie die Lebensdauer der Oper und Operette weit stärker ist als die des Schauspiels. Seit 50 Jahren kehren die 60 Repertoire-Opern und -Operetten immer wieder, während ungezählte Schauspiele, selbst großen Formats, den Weg allen Fleisches gegangen sind. Das gleiche wird mit dem Tonfilm der Fall sein. Wie man sich Opern und Operetten zehnmal anhören kann, genau so wird das auch hier sein, vorausgesetzt, daß die Musik nicht am laufenden Band produziert ist.


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