Triviale Tropen
Materialien zum 9. Internationalen Filmhistorischen Kongreß, Hamburg, 1996
Zusammenfassungen der Vorträge

Ein Pfadfinder der »Geopolitik« - Der Reisejournalist und -filmer Colin Ross

Bodo-Michael Baumunk, Berlin


Colin Ross (1885-1945) gehörte in der Zwischenkriegszeit neben Egon Erwin Kisch zu den bekanntesten deutschen Reisejournalisten. Im Verbund bediente er alle in seiner Zeit verfügbaren Medien: Zeitungen, Buchverlage, Rundfunk und Film.

Über zwanzig, teilweise in zahlreichen Auflagen veröffentlichte Reisebücher hat er hinterlassen, in denen noch einmal die bereits im Niedergang befindliche koloniale Zauberwelt zwischen Kongomündung und Shanghai beschworen wurde. Colin Ross’ Name geistert aber auch als Fußnote durch die politische Geschichte seiner Zeit: Nachrichtendienst-Offizier im Ersten Weltkrieg, kurzfristig Hauptakteur in der Novemberrevolution von 1918, Propagandist der deutschen Republik in Südamerika und schließlich des »Dritten Reiches« in den USA.

Ross verstand sich als Pfadfinder in höherem Interesse: Die mangelnde Weltkenntnis in Deutschland und das Unvermögen zur positiven Selbstdarstellung vor der Weltöffentlichkeit sah er zeitlebens als eine der Ursachen für die traumatische Niederlage von 1918 an. Hier wollte er Abhilfe schaffen, ähnlich wie Karl Haushofer, der Begründer der »Geopolitik«, dem Ross in Freundschaft verbunden war.

Im Grunde blieb Ross auch als Weltreisender der Offizier in Aufklärungsmission, der für seine Erkundungsfahrten meist den Segen staatlicher Mächte suchte. Im Gegensatz zu dem »Rasenden Reporter« und Bohèmien Kisch reiste Ross mit vierköpfiger Familie, jenes »Mit Kind und Kegel in die Arktis« - so einer der Buchtitel - wurde geradezu sein Markenzeichen und einer der Gründe seiner Popularität.

Die große Reise der Jahre 1923/24, die den Film MIT DEM KURBELKASTEN UM DIE ERDE und mehrere Bücher nach sich zog, bedeutete für Ross’ Weltsicht einen entscheidenden Einschnitt: Japan und seine eroberten Gebiete auf dem Festland, in Korea und China, überzeugten ihn vom baldigen Aufstieg des »pazifischen Raumes« und dem nahenden Ende der europäischen Kolonialherrschaft in Asien.

Auf Europa fielen in Ross’ Denkhorizont gleich mehrfach Schatten: selbst »kranker« Kontinent, der indes noch einer letzten großen Missetat fähig war - der »Europäisierung« und Uniformierung ursprünglicher Kulturenvielfalt, auf der nicht zuletzt Ross’ Existenz als Reiseschriftsteller beruhte. Bei aller zuweilen herrenmenschenhaften Attitüde und Indignation vor menschlichem Elend, das ihm in den Slums indischer oder chinesischer Städte begegnete, betonte Ross stets, auch in der Zeit nach 1933, die Gleichrangigkeit aller »Rassen« und die Legitimität ihrer Lebensformen. Mit einer Parteinahme für den Nationalsozialismus konnte Ross - wie die Folgejahre zeigten - seinen Kulturrelativismus mühelos vereinbaren.


Nächster Artikel; Zurück zum Inhalt