FILMtext. Drehbücher klassischer deutscher Filme
Belin-Alexanderplatz. Drehbuch von Alfred Döblin und Hans Wilhelm zu Phil Jutzis Film von 1931

Nur der veränderte Autor kann den Film verändern

Interviews mit Alfred Döblin


Der Tonfilm hat eine neue Situation für den Filmautor geschaffen. So kommt es heute zu dem Problem: wer soll Tonfilmmanuskripte schreiben? Kommen heute, da dem Wort eine ganz andere Bedeutung beizumessen ist, die Autoren des Theaters und der Romane in Frage?

Alfred Döblin, der bekannte Autor, der mit seinem Roman »Berlin Alexanderplatz« zum ersten Male ein Epopös der Großstadt gestaltet hat, sieht die Schwierigkeiten der Autorenfrage. Er selbst hat sich seinerzeit mit diesem Problem befaßt, als Jannings vor dem BLAUEN ENGEL an die Rolle des Franz Biberkopf in BERLIN - ALEXANDERPLATZ dachte.

Döblin nimmt einen anderen Standpunkt gegenüber dem Film ein als die meisten Autoren: Das bedeutet, er stellt in erster Linie nicht die Forderung an den Film, sondern die Forderung an den Autor. »Man muß sich klarmachen, was der Film vom Autor verlangen muß. Mir ist das vor allem aufgegangen, als ich mich damals mit Jannings über meinen Roman unterhalten habe. Mir sind ganz neue Begriffe klar geworden - der Film ist eben eine ungeheure Realität. Und wie Jannings mir von der Masse sprach, von den Wiederholungen eines Films an tausend Stätten, da wußte ich auf einmal, daß alles, was wir gelernt haben, hier nicht gilt, daß man umlernen muß.

Denn der Autor findet beim Film ein Publikum, das er nicht übersehen kann. Ein Buch, ein Theaterstück, hat sein isoliertes Publikum, seine Begrenzung. Da gibt es Auflagen von zehntausend, zwanzigtausend. Und beim Theater gibt es keine Serienerfolge. Aber der Film kennt keine Begrenzung. Es muß dem Autor zumute sein wie einem Menschen, der plötzlich aus einer Stube in eine große, freie Landschaft tritt oder in eine große Versammlung.«

Im Umstellen sieht Döblin die Schwierigkeit für den Autor. »Es ist schwer zu sagen, ob die guten bekannten Autoren da mit können. Denn unsere Literatur ist im allgemeinen nicht auf die Massen eingestellt, es ist eine Literatur der begüterten und höheren Kreise. Kulturgüter können nicht einfach über-nommen werden.«

»Es könnte«, meint Döblin, »eine neue Gruppe von Autoren entstehen. Vielleicht ist sogar auch eine Möglichkeit offen in der Mitarbeit eines Autors mit einem Filmschaffenden. Nur müßte es sich da um eine wirkliche intensive Gemeinschaftsarbeit handeln. Es geht nicht an, daß man einfach einem Filmmann das Manuskript übergibt und ihn machen läßt, was er will. Der Autor muß mitarbeiten und dabei jemand haben, der ihm neue Vorhänge aufreißt.«

Und Döblin faßt seine Meinung zusammen: »nur der veränderte Autor kann den Film verändern.«

»Ein Autor muß«, erklärt er, »zudem die nötige Breite und den Umfang dazu haben. Das heißt, er muß die Wichtigkeit erfassen, das Wort abzuwägen, es genau zu präzisieren, da es eine andere Größe und eine andere Valeur als in Büchern und auf dem Theater hat.«

Döblin betont immer wieder, was er vom Wort verlangt: »Worte werden Freskocharakter bekommen müssen, sie werden tiefer sein müssen als bisher, fester stehen müssen.« Und er spricht von dem hieb- und stichfesten Wort, dem stabilen, betonierten Wort.

»Es klingt alles ganz anders im Kino, das habe ich beobachtet, man lacht immer an ganz anderen Stellen als der Autor gemeint hat. Alles das muß man in Berechnung ziehen.«

Verfilmungsmöglichkeit des »Berlin Alexanderplatz«? Sie scheint Döblin da zu sein, weil dieser Roman bereits auf der Linie einer anderen sozialen Ebene liegt und darum den Filmmassen zugänglich sein kann. Und ebenso ist in seinem neuen Stück »Ehe und Kapital«, das Piscator aufzuführen gedenkt, eine Basis für eine Filmbearbeitung vorhanden.

Döblin kommt dabei auf die Forderung zu sprechen, die der »veränderte Autor« an den Film stellen darf. »Der Film muß kulturelle Aktualitäten bringen, in soziale Dinge eingreifen. Der Produzent sollte keine Furcht vor Realem haben, sollte nicht immer gleich sagen: "das kommt gar nicht in Betracht" oder: "das kann ich im Ausland nicht verkaufen". Er muß mehr Wagemut zeigen. Er kann mit dem Autor arbeiten, allerdings mit dem veränderten Autor.«

- Film-Kurier, Sondernummer, 16.8.1930.


Sehen Sie, es wäre mir nicht möglich gewesen, gleichzeitig mit dem Roman etwa einen Film »Alexanderplatz« zu schreiben, oder ein Theaterstück daraus zu machen. Ich kannte ja Biberkopf viel zu wenig. Ich hatte nur einen Einfall gehabt und ein Buch geschrieben. Richtig kennengelernt habe ich Biberkopf eigentlich erst ein halbes oder dreiviertel Jahr später. Dann sah ich ihn voll und ganz. Dann sah ich auch, daß ein Theaterstück sich nicht aus Alexanderplatz formen ließ. Denn die Schicksalslinie, besser gesagt, die Schicksalsmelodie war nicht in die Bühnenform zu pressen. In die Bühnen-form, deren Form vorschreibt - Aufteilung in Szenen und in Aktabschlüssen und in einem Schluß, eiserner Vorhang herauf und herunter - das ging nicht. Es konnte nur ein Rundfunk-Hörspiel oder ein Film werden. Gerade die Mittel des Films, die der Tonfilm dem Drama voraus hat, konnten hier helfen. Die Photographie - die unverändert die Atmosphäre, das Lokalkolorit des Alexanderplatz-Viertels spiegelt, zweitens die Sprache, die Franz Biberkopf unmittelbar sprechen läßt und daher akustisch echter als es je der Roamn kann, und dann drittens - die Begleitmusik, die besonders wirksam das ewig Gleitende in diesem Biberkopfschicksal unterstützt und ausdrücken kann.

- Begegnungen mit Biberkopf. Lichtbild-Bühne, Nr. 240, 7.10.1931.


... und eine Stellungnahme von Phil Jutzi

Als ich an die Verfilmung eines so umfassenden Stoffes wie »Berlin Alexanderplatz« heranging, war ich mir darüber klar, daß es nicht leicht sei, aus der großen Menge des Materials, das mir der Döblinsche Roman und die Beobachtung der Umwelt brachte, das auszuwählen, was am klarsten und überzeugendsten die ganze Fülle der Gedanken des Autors ausdrückte. Mein Streben war, so tief wie möglich in die Eigenheit des Werkes einzudringen und das zu zeigen, was nur mit einem geschärften Blick gesehen werden kann, das alles Überflüssige und Oberflächliche entfernt. Bedingt durch die Eigenart des Döblinschen Romans wollte ich die Wirklichkeit nicht immer so zeigen, wie sie dem realen Durchschnittsmenschen entgegentritt. Die Charakteristik der handelnden Personen - oder Dinge - im Film bleibt ohne Bedeutung, wenn sie nicht in optisch wirksame Bewegungen, Situationen oder Stellungen gebracht wird. Eine der interessantesten Aufgaben des Films war für mich, einen so außerordentlich starken Schauspieler wie Heinrich George, der den Franz Biberkopf verkörpert, sich frei bewegen zu lassen, die natürliche Kontinuität seiner Bewegungen nicht zu hemmen und doch nur das für die filmische Gestaltung Notwendige zu zeigen.

- Drei Tonfilmdebütanten in BERLIN-ALEXANDERPLATZ. In: Lichtbild-Bühne, Nr. 241, 8.10.1931.


Berlin-Alexanderplatz; Andere Bände der Reihe