FilmMaterialien 6 - Paul Dessau.

Illustration und Komposition

Richtlinien und Ziele

Von Paul Dessau

In: Das Kino-Orchester, Nr. 27, 1.9.1928


Die Forderung einer Ergänzung der Filmbegleit-Musik durch Original-Kompositionen scheint mir wesentlich. Mit Ausnahme der wenigen Spezialkomponisten für den Film stehen alle Musikschaffenden dem Film zwar nicht fremd oder gar ablehnend gegenüber, sie haben nur leider keinerlei Nützlichkeit, ihn ihrem Schaffensbereich einzugliedern. Eine scharfe Scheidung besteht. Sie hat ihre Schäden nicht nur dadurch, daß nur selten neue melodische bzw. thematische Elemente in die Filmmusik dringen, auch die Orchestersprache findet keine neuen Schaltungen. Sie sind der Filmmusik nötiger, als man glauben will.

Hat man die vorgezeichnete Linie (Form!) der Szenenfolge musikalisch erfaßt, das soll heißen, ist man imstande, selbst scheinbare, dem Auge sinnfällige Sprünge und Risse durch die musikalische Zusammenfassung zu einem Ganzen neu zu gestalten, die (scheinbar) fehlende Form zu geben, so rückt man hierdurch einen wichtigen Faktor der Bilduntermalung um ein Bedeutendes näher, ja, vielleicht um das Bedeutsamste überhaupt. Zur Verwirklichung dessen bedarf es in der Hauptsache der Bevorzugung einteiliger Musikstücke, die leider noch allzuwenig innerhalb der Film-Musik-Literatur vorhanden sind. Aus diesem Grunde erklärt es sich leicht, wie mangelhaft die vorgezeichneten Schlüsse in unsren Stücken verwandt werden. Das Stück ist zwar aus, jedoch kann von einem Abschluß in der Handlung nicht die Rede sein. Das Vorbild, das Dr. Erdmann und die Ausgaben der Film-Musik-Union hierin gegeben haben, sollte maßgebend sein.

Es ist für jeden Dirigenten eine selbstverständliche Forderung, da wo er formgebend wirken will, eine phonetische, einheitliche Bindung zu finden. Es ist fast stets eine Oberflächlichkeit, ein Stück plötzlich abzubrechen und das nächste hinterher zu spielen, besonders dann, wenn keines zum anderen auch nur die geringste innere Beziehung in Form und Inhalt aufweist. Da werden oft nur ein paar Takte genügen, um die angestrebte Einheitlichkeit zu erzielen. Hier muß die Bindung: Illustration – Komposition einsetzen und kann sie dem Film zur künstlerischen Form verhelfen, auch selbst, wenn die Bildstreifen (scheinbar!) dieses wichtigste Faktum außer acht gelassen haben.

Vor kurzem wurde ich über meine Ansicht betreffs des Leitmotivs innerhalb der Filmmusik befragt. Ich persönlich stehe dieser dem vorigen Jahrhundert angehörigen Methode ablehnend gegenüber, doch mag es Szenen geben, in denen es angebracht sein kann, eine Note, die bedeutsam geworden, hie und da geschickt anzubringen. Ich liebe mehr, die Intension der verwandten Szenen zueinander zu erreichen; dies ist zwar schwieriger, aber doch ausdrucksvoller.

Der Gedanke, das Beiprogramm mit Originalmusik zu versehen, ist weder neu noch der meinige. Verwirklicht habe ich ihn auf Grund meiner Einstellung zur zeitgenössischen Musik, der ich, wie dem zeitgenössischen Film und den ihn schaffenden und fördernden Menschen, naturgemäß nahestehe. Ich bin mir bewußt, daß ich auf diese Weise für das unweigerlich, unabänderlich Heutige begeistern kann, und den Weg betreten habe, der zur Erreichung des größeren Zieles notwendig ist: Der Original-Komposition des sogenannten Hauptfilms, des heutigen Films – mit heutiger Musik für unsere heutigen Menschen.


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