Berliner Film-Ateliers. Ein kleines Lexikon

LIXIE-ATELIER

Weißensee, Franz Josef-Straße 9-12

Gegründet 1914
Glashaus ca. 300 qm


1914 läßt die 1911 vom Ingenieur Max Rittberger und dem Schauspieler Walter Schmidthässler gegründete Continental-Kunstfilm GmbH, die das freigewordene BIOSKOP-ATELIER, Chausseestraße 123, übernommen hat, im nordöstlichen Vorort Weißensee ein Glashaus bauen. Es entsteht auf dem Grundstück Franz Josef-Straße 9 von dem 1913 entstandenen Atelier der Vitascope (May-Atelier) nur durch das schmale Grundstück Nr. 8 getrennt. Doch da sich Mitte 1914 mit dem Regisseur Joe May und dem Autor und Schauspieler Ernst Reicher, die gemeinsam die erfolgreiche Serie um den Detektiv Stuart Webbs kreiert haben, von der Continental trennen, kommt es nicht mehr zu einer größeren Produktionstätigkeit. 1915 übernimmt die Stuart Webbs Filmcompany Reicher & Reicher das Atelier in Weißensee, wo sie bis zur Übersiedlung nach München 1918 ihre Detektivfilme herstellt.

1919/20 kauft die Fag Film-Atelier GmbH das Atelier und erweitert die Anlage um das Grundstück 10-12, Ecke Berliner Allee. Inhaber der Fag, die sich ausschließlich der Atelier-Vermietung und nicht der Film-Produktion widmet, sind Chaskel Eisenberg und Dr. Lucian Gottscho. 1921 wird die Lixie-Film-Atelier-Weißensee GmbH gegründet, deren Inhaberin Frau Cill-Gottscho in Philadelphia lebt, ihr Generalbevollmächtigter bleibt Dr. Lucian Gottscho, Berlin. Die Fag bleibt unter der gleichen Adresse bestehen, die berliner Adressbücher erwähnen nur diese als Eigentümer des Grundstücks, der Name Lixie-Atelier taucht nur in Kino-Adressbüchern auf. Die Lixie-Film-Atelier GmbH ist 1924/25 auch Mitinhaberin des Muto-Großateliers (
Muto-Atelier) in Lankwitz.

1928 geht das gesamte Grundstück an die Wohnungsbaugesellschaft Weißensee Berliner Allee Ecke Franz Josef-Straße mbH über, die es parzelliert und Wohnbauten errichtet.

Über die technische Ausrüstung, selbst über die genaue Größe des Ateliers ist kaum etwas bekannt, außer daß es sich um den Typ des ebenerdigen Glashauses gehandelt hat. Dabei wurde hier der wahrscheinlich berühmteste deutsche Film,
DAS CABINET DES DR. CALIGARI, gedreht. Es kommt noch verwirrend hinzu, daß Lamprecht - und damit auch alle Abschreiber - »Lixie-Atelier, Weißensee« als Drehort angeben, ein Name, der sonst erst 1921 auftaucht, vermutlich eine weitere Überlagerung der Erinnerung bei diesem Film, um dessen Herstellung die sich widersprechenden Legenden häufen.

Einer der Gestalter des Film, Hermann Warm (1889-1976), versucht 1970 - aus seiner Sicht - mit falschen Legenden aufzuräumen:

»(...) CALIGARI ist ein Declafilm, gedreht wurde er im Jahre 1919 im Spätsommer im Lixie-Atelier in Weißensee bei Berlin. (...)

Das von Carl Mayer und Hans Janowitz erdachte und geschriebene Drehbuch wurde mir von Rudolf Meinert in Gegenwart des Regisseurs Dr. (Robert) Wiene, den ich bei dieser Gelegenheit kennenlernte, übergeben.

Eine kurze Unterhaltung ohne besonderen Hinweis auf das Drehbuch, lediglich eine Verabredung für den nächsten Tag, an dem ich Vorschläge über Ausstattung und Dekorationen machen sollte. Am Nachmittag beim wiederholten Lesen, Auszüge machen, und der dekorationstechnischen Durcharbeitung dieses so anders geformten Drehbuchs begeisterte mich die skurrile Atmosphäre immer mehr und mehr. Ich erkannte, daß man hier in Formgebung und Gestaltung der Dekorationen ganz von der sonst üblichen naturalistischen Art abweichen mußte.

Die Filmbilder, abgewandt vom Realen, müßten eine phantastische, graphische Formgebung erhalten. Die Bilder müßten visionär, alptraumhaft sein. Keine realen Bauelemente durften erkennbar werden, sondern eine dem Thema angeglichene skurrile Malerei sollte die Leinwand beherrschen.

Wenn aber der Film nicht mit den üblichen realen bzw. naturalistischen Bauelementen ausgestattet werden würde, mußten Maler das Wort, d.h. den Pinsel führen ...

Ich verständigte darum meine beiden Malerfreunde Walter Reimann und Walter Röhrig, die schon zu verschiedenen Filmen Hintergründe, Bilder und Gobelins für mich gemalt hatten. (...)

In ca. 1 1/2 bis 2 Wochen wurden von uns die Vorarbeiten geschaffen, Dekoration und Kostümauszüge, Requisitenlisten und Dekorationsplanungen wurden gemacht, Dekorentwürfe, von denen einige in mehreren Fassungen vorhanden waren, wurden ausgewählt.

Es gab viel Arbeit, Grundrißplanungen und die Eingruppierungen in den Atelierplan, Werkzeichnungen für die Anfertigung einzelner Bauteile, Möbel, Requisiten usw. (...)

Nach Möglichkeit wurden die Dekorationen in chronologischer Reihenfolge im Atelier erstellt, um ein leichteres Arbeiten für den Regisseur zu schaffen und gleichfalls das Hineinwachsen der Darsteller in ihre Rollen zu erleichtern. (...)

In ca. 4 1/2 Wochen wurde CALIGARI gebaut und gedreht, dreimal durch je einen Bautag unterbrochen. Meines Wissens war dieser Film der erste, in dem alle Aufnahmen in gebauten Atelierdekorationen gedreht wurden.

Mit Furore ging es an die Arbeit; selbst die Bühnenarbeiter hatten Vergnügen daran. Wir drei Maler schafften immer bis in die Nacht hinein, wie in einem Taumel. Es war die damalige neue Welle, die alle Mitwirkenden umspülte und trug.

Ich, als der im Filmbau Erfahrene, übernahm in erster Linie das Konstruktive der Bauten, Röhrig mit der Malertruppe das Ausmalen der Dekors (diese wurden behandelt wie große Kohlezeichnungen, leicht farbig ausgetuscht), von Reimann unterstützt, sobald dieser mit dem Improvisieren der Kostüme fertig war, und am Ende half auch ich noch beim Ausmalen und Einrichten mit Möbeln und Stoffen.

Es war eine ideale Zusammenarbeit, kannten wir drei uns doch seit Jahren durch unsere Arbeit am Theater und in Theatermaler-Ateliers.

Aus dem benachbarten, Joe May gehörenden Filmatelier schlichen sich manchmal Beauftragte ein: man wollte voller Spannung und Wißbegier erfahren, was die Verrückten da anstellten. Weißensee bei Berlin war ja damals Klein-Hollywood. (...) (Hermann Warm: Gegen die Caligari-Legenden. In: Caligari und Caligarismus. Berlin: Deutsche Kinemathek 1970, S. 11-16).

Nächster Artikel - Zurück zum Inhalt